III. Der Staat (Realer Geist)
§ 194
Die natürliche Gesellschaft der Familie erweitert sich zur allgemeinen Staatsgesellschaft, welche ebensosehr eine durch die Natur gegründete als durch freien Willen eingegangene Verbindung ist und sosehr auf dem Recht als auf der Moralität beruht, überhaupt aber nicht so wesentlich als eine aus Individuen bestehende Gesellschaft denn als ein in sich einiger, individueller Volksgeist erscheint.
§ 195
Die Staatswissenschaft ist die Darstellung der Organisation, die ein Volk als ein in sich lebendiges organisches Ganzes hat.
§ 196
Der Staat macht als das Allgemeine den Gegensatz zu den Individuen. Er ist um so vollkommener, je mehr das Allgemeine der Vernunft entspricht und je mehr die Individuen mit dem Geist des Ganzen eins sind. Die wesentliche Gesinnung der Bürger gegen den Staat und dessen Regierung ist weder der blinde Gehorsam gegen ihre Befehle, noch daß zu den Einrichtungen und Maßregeln im Staat jeder seine individuelle Einwilligung zu geben hätte, sondern Vertrauen und einsichtsvoller Gehorsam gegen denselben.
§ 197
Der Staat enthält verschiedene Gewalten, welche die Momente seiner Organisation ausmachen. Die gesetzgebende, richterliche und exekutive Gewalt überhaupt sind die abstrakten Momente derselben. - Die realen Gewalten sind die das Ganze konstituierende, die gerichtliche und polizeiliche, die finanzielle und administrative, die militärische und politische Gewalt, in deren jeder eigentlich jene abstrakten Momente vorkommen. - Der oberste betätigende Mittelpunkt aller ist die Regierung.
§ 198
Die verschiedenen Stände eines Staates sind überhaupt konkrete Unterschiede, nach welchen sich die Individuen in Klassen teilen, die vornehmlich auf der Ungleichheit des Reichtums, der Erziehung und Bildung, so wie diese zum Teil wieder auf der Ungleichheit der Geburt ruhen, wodurch die Individuen zu einer Art der Tätigkeit für den Staat mehr Brauchbarkeit erhalten als zu einer anderen.
§ 199
Die Verfassung setzt die Trennung und Beziehung der verschiedenen Staatsgewalten zueinander und den Wirkungskreis einer jeden fest, vornehmlich die Rechte der Individuen im Verhältnis zu dem Staat und den Anteil der Mitwirkung derselben, den sie nicht bloß in der Wahl der Regierung, sondern auch, insofern sie Bürger überhaupt sind, haben sollen.
§ 200
Sitten, Gesetze und Verfassung machen das organisierte innere Leben eines Volksgeistes aus. Das Prinzip oder die Art und Bestimmung seines Wesens ist darin ausgedrückt. Außerdem hat er ein äußerliches Verhältnis und äußerliche Schicksale.
§ 201
Diese sozusagen historische Geschichte betrachtet die Existenz eines Volksgeistes, die Entwicklung seines Prinzips in seiner Verfassung und Gesetzen und in seinen Schicksalen auf eine äußerliche Weise nach der Wahrnehmung der Begebenheiten und den unmittelbaren Ursachen, wie sie in zufälligen Umständen und individuellen Charakteren zu liegen scheinen.
§ 202
Die philosophische Geschichte faßt nicht nur das Prinzip eines Volkes aus seinen Einrichtungen und Schicksalen auf und entwickelt die Begebenheiten aus dem ersten, sondern betrachtet hauptsächlich den allgemeinen Weltgeist, wie er in einem inneren Zusammenhange durch die Geschichte der getrennt erscheinenden Nationen und ihre Schicksale die verschiedenen Stufen seiner Bildung durchlaufen hat. Sie stellt den allgemeinen Geist als Substanz erscheinend in seinen Akzidenzen dar, so daß diese seine Gestalt oder Äußerlichkeit nicht seinem Wesen gleichmäßig gebildet ist. Seine höhere Darstellung ist seine Gestaltung in einfacher geistiger Form.
(Es zählen nicht alle Völker in der Weltgeschichte. Jedes hat nach seinem Prinzip seinen Punkt, Moment. Dann tritt es, wie es scheint, für immer ab. Nicht zufällig kommt seine Reihe.)
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