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Georg
Wilhelm Friedrich
Hegel

Nürnberger Schriften

I. Texte zur Philosophischen Propädeutik

1.Philosophische Enzyklopädie
für die Oberklasse
(1808 ff.)

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II. Die Religion

§ 207

Die Religion gibt die Darstellung des absoluten Geistes nicht bloß für Anschauung und Vorstellung, sondern auch für den Gedanken und die Erkenntnis. Ihre Hauptbestimmung ist, das Individuum zu dem Gedanken Gottes zu erheben, seine Einigkeit mit ihm hervorzubringen und es derselben zu vergewissern.

(Die Religion ist die Wahrheit, wie sie für alle Menschen ist.
Das Wesen der wahrhaften Religion ist die Liebe.
Sie ist wesentlich Gesinnung als Erkenntnis der Wahrheit des menschlichen Willens.
Die religiöse Liebe ist nicht nur die natürliche Anhängigkeit oder nur moralisches Wohlwollen, nicht eine unbestimmt allgemeine schwachsinnige Empfindung, sondern bewährt sich im Einzelnen mit absoluter Aufopferung.
"Liebet euch untereinander, wie ich Euch geliebt habe."4) -
Die religiöse Liebe ist die unendliche Macht über alles Endliche des Geistes, über Schlechtes, Böses, Verbrechen, auch positive Gesetze usf. Christus ließ seine Jünger am Sabbat Ähren ausraufen und heilte eine kranke Hand.
Die göttliche Liebe vergibt die Sünde, macht für den Geist Geschehenes ungeschehen.
Der Maria Magdalena wird viel vergeben, weil sie viel geliebt hat. Die Liebe ist selbst über die Rücksichten der Moral hinaus: Maria salbt Christus, statt es den Armen zu geben, und Christus billigt dies.
- Das substantielle Verhältnis des Menschen zu Gott ist die Vergebung der Sünden.
Der Grund der Liebe ist das Bewußtsein von Gott und seinem Wesen als der Liebe und sie daher zugleich die höchste Demut. Ich soll mir nicht die Objektivität in der Liebe sein, sondern Gott, aber in seinem Erkennen soll ich mich selbst vergessen.
- Die Vergebung der Sünde ist nicht ein Zeitliches, keine Folge äußerlicher Strafe, sondern eine ewige, innere in Geist und Gemüt. Das Vernichten seiner Nichtigkeit ist die Hoheit der Liebe.
- Das substantielle Verhältnis des Menschen zu Gott scheint in seiner Wahrheit ein Jenseits zu sein, aber die Liebe Gottes zum Menschen und des Menschen zu Gott hebt die Trennung des Diesseits von dem als einem Jenseits Vorgestellten auf
und ist das ewige Leben.

Diese Identität wird angeschaut in Christus.
Als Menschensohn ist er Gottessohn. Für den Gottmenschen ist kein Jenseits.
Nicht als dieser einzelne, sondern als allgemeiner, als der wahrhafte Mensch gilt er.
Die äußerliche Seite seiner Geschichte muß von der religiösen unterschieden werden.
Er ist durch die Wirklichkeit, Niedrigkeit, Schmählichkeit hindurchgegangen, gestorben.
Sein Schmerz war die Tiefe der Einheit der göttlichen und menschlichen Natur im Leben und Leiden.
Die seligen Götter der Heiden wurden als in einem Jenseits vorgestellt; durch Christus ist die gemeine Wirklichkeit, diese Niedrigkeit, die nicht verächtlich ist, selbst geheiligt. Seine Auferstehung und Himmelfahrt sind nur für den Glauben: Stephanus sah ihn im Gesicht zur Rechten Gottes. Gottes ewiges Leben ist dies, die Rückkehr in sich.
Zweifel aus Umständen, aus Einzelheiten aufzubringen, ob dies eine äußerliche Wirklichkeit, ist läppisch, erbärmlich.
Es kommt dem Glauben auf das sinnliche Geschehen gar nicht an, sondern auf das, was ewig geschieht. Geschichte Gottes.

Die Versöhnung Gottes mit dem Menschen als an und für sich geschehen,
nicht als ein Zufall, als eine Willkür Gottes, wird in der Kirche gewußt. Dies zu wissen, ist der heilige Geist der Gemeinde.
- Das Reich Gottes ist zunächst die unsichtbare Kirche, die alle Zonen und verschiedene Religionen umfaßt; dann die äußerliche Kirche. -

- In der katholischen Kirche ist die Gemeinde in sich getrennt als Priester und Laien.
Jene sind die Bevollmächtigten und üben Gewalt aus. Die Versöhnung mit Gott wird zum Teil äußerlich gemacht; überhaupt herrscht bei den Katholiken eine ungeistigere Wirklichkeit der Religion.
- Bei den Protestanten sind die Priester nur Lehrer. Alle sind in der Gemeinde vor Gott als dem gegenwärtigen Geist der Gemeinde gleich. Die Werke als solche sind kraftlos. Auf den Glauben, auf die Gesinnung kommt es an.
Das Böse wird als ein an und für sich Nichtiges gewußt. Dieser Schmerz muß den Menschen durchdringen.
Er muß die Gnade Gottes, sich mit ihm trotz des Bösen, wenn er es aufgibt und aus ihm sich zurücknimmt, zu vereinen, frei ergreifen. Nur im Gemüt kommt es zur wirklichen Gemeinschaft mit Gott. In ihm verklärt sich auch die sinnliche Form der Sakramente.)

 


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